Wenn du da bist, bist du da.


“Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.” (Karl Valentin)

Lässt sich schlußendlich die Sonne mal blicken, ist`s schließlich ganz schön. Die ersten California Poppies blühen wieder, sie sind die blühenden Maskottchen von Californien.

„Wieso, wenn ich jemanden nur fünf Minuten sehe, wieso die Zeit nicht nutzen, den anderen kennenzulernen? Wieso über politische Ansichten streiten? Jeder von uns bewegt sich in seiner Blase, informiert sich aus anderen Quellen.“, sagt Lin Yi. „Eine Einstellung lässt sich nicht in fünf Minuten ändern. Den anderen versuchen zu belehren, bevor du ihn verstehst, das wäre vertane Zeit. Ich traf mal eine Frau, die hatte an Joker, einen Narren gefressen. Wieso sie umstimmen wollen? Sie würde sich eh nur verschließen. Ich habe sie nach drei Punkten gefragt, wieso denke sie, der Joker von der roten Partei sei der Richtige, das Land zu regieren? Anschließend fragte ich sie, ob ich ihr drei Punkte aufzählen darf, die ich an Batman von der blauen Partei gut finde“ Und nach einer kurzen Pause fährt Lin Yi fort. „Die Menschen fühlen sich allein gelassen und denken der Joker würde ihnen zuhören und sich ihrer Probleme annehmen. Und er lügt ihnen die Hucke voll. Ich glaube er kann gar nicht anders, er muss einfach lügen.“

In den letzten Wochen hat es viel geregnet und der Chico Creek ist ein wenig ausgeufert. Und violet bis lavendel blüht das große Immergrün.

Die Beine angewinkelt, lehne ich mit der Wirbelsäule gegen den Türrahmen, und versuche, meine Halswirbel zu spüren. “Das Kinn noch ein ganz klein wenig Richtung Brust neigen, nicht zu sehr.” Nur den Kopf nicht hängen lassen. Yin Li packt mit ihrer rechten Hand ein Büschel ihrer Haare und zieht sie leicht nach oben, um mich an den Sky Hook, den Himmelshaken zu erinnern. Es ist gar nicht so einfach, ein ungesunde Kopf- und Körperhaltung abzulegen. Mein Rücken lehnt gegen den Türrahmen und ich blicke an den Matten vorbei zum Ausgang des Dojos. Oben rechts neben der Tür hängt eine Uhr an der Wand. Darunter ein chinesisches Schriftzeichen aus schwarzen Pinselstrichen auf Papier. Das in in der Mitte sieht wie ein Gartenzaun aus, darüber ein offenes Dach und darunter sind noch einmal vier kurze senkrechte, tropfenartige Striche gesetzt, fast wie vier Beine, auf denen sich das Zeichen fortbewegt, an der Wand entlang, täglich die Porträts der Meister grüßend, deren Reihe Anfang es bildet. Was dieses Schriftzeichen bedeute, fragte ich Yin Li das letzte Mal, als mein Blick beim Abschied auf den Bilderrahmen fiel. “Nichts.”, sagte sie und sie betonte es, als würde sie “nichts weiter, nichts besonderes”, sagen. Für einen Augenblick hielt ich inne und stutzte. Ob ich wüsste, dass die Meister ihren Schülern manchmal genau mit diesem Ausdruck antworteten? „無“ Die Antwort sei nicht zu haben, nicht in diesem Augenblick. Wären nur Worte, die wie Sand zwischen den Fingern hindurch rieseln oder zwischen den Zähnen knirschen. Einer würde das sagen und der andere das, ohne dass es ein Rolle spiele. Wieso den fünften Schritt erklären, wenn der zweite noch nicht verstanden wurde? Ja, so sind sie, die Meister, wollen sich den Mund nicht fusselig reden. Die Antwort komme zu dir, wenn du soweit bist, sagen sie. So wie die Gedanken am Morgen, die in dir aufsteigen, wenn du mit geschlossenen Augen noch ein wenig da liegst, im Halbschlaf bei dir selbst verweilst und dir lauschst, bevor der Wecker klingelt, bevor der Trott des Tages dich in seinen Bann zieht. Ich lehne am Türrahmen, mein unterer Rücken zieht, ich spüre wie das Holz gegen meine Wirbelsäule drückt und blicke wieder auf die Uhr und das Chinesische Schriftzeichen für “Nicht haben”. „Behalte die Frage. Behalte dieses Gefühl.“, sagte Kezhuan oft, als sei das Gefühl ein Kücken in der Hand, ein kleiner Vogel, der noch fliegen lernen müsse. Wieso jemanden belehren wollen, der noch nicht bereit ist? Vielleicht wird er sogar noch sauer auf dich? Für ein Weilchen überlässt mich Yin Li mir selbst, geht zu Maris, einer Schülerin die schräg hinter mir lehnt, an einem anderen Türrahmen in einer anderen Wand. „Nichts erzwingen wollen. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“, sagt ein altes Sprichwort. Diese Sprichwörter haben gut reden, denke ich mir. Wahrscheinlich stecken sie mit den alten Meistern unter einer Decke. Die einen sagen nichts, die anderen wissen immer alles besser. Ist es denn wirklich so einfach wie es scheint?

An dem Fahrradweg 99 Richtung Skyway. Ein Burger zum Breakfast. Iss, was du isst, sagt der Hunger. Ein junger Mann mit Kochhaube und Headset beugt sich an die offenen Autofenster und nimmt der hungrigen Kolonne ihre Bestellungen ab. Und ich frage mich, wozu braucht der Kellner an einer Drive Through Schlange eine Kochmütze? Und mir fällt die Antwort wieder ein: Qualität ist unser Rezept und unsere Image unser Geschäft. Und im Wahlkampf scheint es ähnlich zu sein, die Menschen bevorzugen Fastfoodpolemik, gute Unterhaltung mit künstlichen Aromen aus der einen oder anderen kleinen Unwahrheit. Doch ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich liebe Pommes und finde, sie gehören auf jeden ausgewogenen und abwechslungsreichen Speiseplan.


PS. Hinten angehängt und empfohlen, ein kleines, gar nicht so leises Büchlein von Mely Kiyak, „Haltung / Ein Essay gegen das Lautsein“ heißt das und ist im Duden Verlag erschienen. https://shop.duden.de/Haltung/9783411717651


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