Ambassador

(überarbeitet)

Die Luft ist feucht und kühl, der nieselgraue Morgen fühlt sich klamm an wie mein Kapuzenpulli, den ich gerade vom Wäscheständer genommen und übergestreift habe. Wie fühlt er sich für dich an, frage ich mich? Gibt es für dich einen Unterschied zwischen der Kühle des Morgens und der des Abends? Und kommt es mitunter vor, dass du an manchen Tagen überhaupt nicht munter wirst? Verkriechst du dich dann in deine Müdigkeit oder wickelst du dich in sie ein wie in eine flauschige Decke und hilfst dir mit einem Lächeln und unzähligen Tassen Kaffee über den Tag? Wie gehst du mit dir um, wenn du neben dir stehst? Blickst du dich dann von der Seite an und leistest dir Gesellschaft? Und ist dir eine Situation oder ein Mensch fremd geworden, weil beide anders sind, als du erwartet hattest? Und wie bist du mit dir und dieser Situation umgegangen? Hast du dir gedacht, dem anderen geht’s vielleicht genauso? Hast du die Angst oder das Befremden des anderen an die Hand genommen und ihr seid beide, verbunden in eurem Fremdsein neugierig auf das Unbekannte zugegangen? Oder hast du dich abgewendet und in deiner Enttäuschung verschanzt? Und findest du nicht, dass es manchmal tröstlich ist, zu wissen, was alles möglich gewesen wäre?

Auf dem Heimweg treffe ich den Straßenkehrer Hory und sage ihm, dass ich ihn neulich gesehen habe, wie respektvoll er mit den Obdachlosen umgehe, Müll und leere Flaschen einsammle und um ihr Hab und Gut herum fege, als wären sie seine Gäste auf seinem Straßenabschnitt und ihr Platz ein Zimmer, das er sauber halte. Und er freut sich über meine Beobachtung und sagt, manche Menschen hätten einfach kein Glück im Leben. Wieso solle er die anders behandeln als die, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen? Ich schaue ihm nach, wie er seinen Wagen den Gehweg entlang in den Feierabend schiebt. „Ambassador“ steht in weißen Buchstaben auf der Rückseite seiner blauen Jacke. Und das hat er wirklich, das Taktgefühl wie man es einem Botschafter wünscht.


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