Was kann schöner sein, als am offenen Fenster zu sitzen, sich das sanfte, warme Lüftchen des herannahenden Frühlings um die Nase streichen zu lassen, bevor einem die Pollen wieder den Heuschnupfen aus der Nase treiben und all die Gerüche und Abenteuer, die da draußen warten, zu erschnuppern, und sich nicht um das Gerede der Menschen kümmern zu müssen? Nichts, vermutlich. Und das Glück zeigt sich dann von ganz allein. Wobei…, halt. Spielen und danach einen herzhaften Imbiss von meinem Lieblingskatzenfutter und eine Runde ratzen, das ist auch nicht zu verachten.
-
An der Park Ave treffe ich heute Pete und Frost. Frost lugt mit seinem kleinen Hundegesicht aus der geöffneten Jacke von Pete wie aus dem schützenden Inneren eines Zeltes. “Frost, say Hello to George”, ermuntert Pete den kleinen Frost, so wie man ein Kind daran erinnert, gegenüber der Verwandtschaft höflich zu sein. Dann gießt Pete ein wenig Wasser aus einer Flasche in ein Schälchen und hält es Frost hin, der durstig anfängt zu trinken. Vielleicht finden manche ein Stück zu Hause und Geborgenheit darin, anderen ein wenig von dem zu schenken, was sie sich ersehnen.
-
sich verirren und wiederfinden, im fell und im schnurren einer katze -
Im Traum irre ich durch ein Gewirr von Räumen in Häusern am Strand, rette mich vor einer Flutwelle, werde von einer weiteren Flutwelle erwischt, das sei eine Zwillingswelle, sagt eine Stimme im Radio und wache auf. Verschwommen wie der Blick mit offenen Augen unter Wasser ist meine Erinnerung an den gestrigen Samstagnachmittag, die Momente und Gesprächsfetzen sind durcheinander gewirbelt wie von einer Flutwelle. Mein Mantel hängt noch draußen über dem Bügel am Gartenzaun, gleich neben dem Rosenstrauch der zäh und beharrlich Blüten treibt, selbst wenn wir wochenlang vergessen, ihn zu gießen.
“Stelle dir vor wie das ist”, sagt Frances zu mir. “Du arbeitest den ganzen Nachmittag am Schreibtisch und auf einmal beginnst du zu frieren. Alle Fenster sind aufgerissen und die Katzen haben nichts zu essen. Ich dachte du bist da und dann kommst du wieder und riechst nach Rauch und Alkohol. Deinen Mantel habe ich rausgehangen.” “Hast du die Zitronen aus den Taschen genommen?” “Ja.” “Die sind von Tom. Er hat wieder eine Kiste mit Zitronen zum Verschenken rausgestellt. Dieses Mal auf die Mülltonne.”
“Hast du dir schon die Fotos angeschaut, die ich dir geschickt habe?” “Nein, ich habe doch mit Joel an dem Artikel geschrieben, da lese ich doch keine Nachrichten.” Und ich erzähle, dass ich nur eine kleine Runde drehen wollte, am Gelände der alten verlassenen Streichholzfabrik vorbei und wieder zurück. Auf dem Weg hätte ich eine Katze getroffen, mit einem grünen Schimmer in den Augen, fast so grün wie das Gras, an dem sie geknabberte. Frances sieht sich die Fotos an, die ich ihr geschickt habe.
“Und die haben da einfach so rumgesessen und mit Kreide gezeichnet?” “Ja, der eine, Billy heißt der, hat mir ein Stück Kreide zugeworfen und gefragt, ob ich mitmachen will. Ich hatte mich neben ihn gehockt und ihm beim Zeichnen zugeschaut. Der Asphalt war vom Regen noch ein wenig nass. Und er hat mir ein Bier und eine Zigarette angeboten. Er war als junger Mann bei den Marines, bevor er als Künstler durch die Welt gezogen ist. Er hat sogar drei Söhne.” “Das hat er dir alles erzählt?” “Ja.” “Du stinkst echt ziemlich krass.” “Ich gehe mal duschen.” “Denkst du, das hilft?” “Ein bisschen schon.”
Unter der Dusche schließe ich die Augen und denke an den Nachmittag, die pinkfarbenen Regenwolken am Ende der Straße, stelle mir vor, wie Billy in einer Bar sitzt und zeichnet, übers Zeichnen mit den Menschen ins Gespräch kommt. Die Begegnungen mit den Menschen sind Schätze, die du dir für kein Geld der Welt kaufen kannst, meint er. Und ich seife mir Haare und Bart ein, spüre mein Lunge. Vielleicht sollte ich das Rauchen wirklich sein lassen, mich von dieser ungesunden Gewohnheit verabschieden, wehmütig und erleichtert, wie nach dem Abschied von einer Liebe, die einem nicht mehr gut tut. -
Nichts hat geholfen. Unter dem Bett habe ich mich versteckt, in die Abstellkammer geduckt und die Augen geschlossen. Gebangt und gebettelt, es möge mich verschonen, an mir vorüberziehen, mich vor dem Vergessen und Erinnern bewahren. Und jetzt ist es da, hat mich gefunden. Noch ausgezehrt und die Anstrengung des alten in den Knochen, breitet sich erwartungsvoll die Ungewissheit des neuen Jahres vor mir aus. Haben mich die Straßen wieder, das Gezwitscher der Vögel, dass sich wie ein aus Klängen gesponnenes Gewebe über Äste zieht, sich wie ein Kuppeldach über der Straße in den Himmel wölbt. Viele der Äste sind kahl. An einigen hängen noch abgewetzte, herbstlich gefärbte Blätter. Du stehst gebannt vor der Magnolie, die jetzt Anfang Januar schon Knospen treibt und staunst über über das Leben, dass immer wieder neu erwacht. An diesem Ort scheint die Natur unentschieden zwischen Herbst und Frühling zu schwanken. Und ich laufe den schmalen Pfad aus roten Steinplatten zwischen dem Rasen auf unser Haus zu. Und ich frage mich, was bleibt, vom alten Jahr, von unseren Worten, Bewegungen, Eindrücken und Gedanken? Woran möchte ich mich erinnern? Ich denke an das weiße freundliche, winterlich distanzierte Morgenlicht, den Vater, den ich heute auf dem Spielplatzes gesehen habe, allein Basketball spielend, seine kleine Tochter sitzt als einziger Zuschauer am Rande des Feldes auf einem zusammenklappbaren Kinderstuhl, daneben parkt der Kinderwagen. Ein paar Meter weiter, mit dem Rücken zu den beiden, sitzt ein Obdachloser, ein Bier genießend, auf einer Bank. Die drei sind die einzigen Gäste auf diesem Spielplatz, den der Rotary Club dem Viertel gespendet hat.
Der braune Abstreicher, der auf dem Absatz vor unserer Eingangstür liegt, erinnert mich einen Moment lang an eine weiche, buschige Augenbraue. Unbewußt steige ich die zwei Stufen hinauf, hebe die Tüte von Amazon auf, die der Postbote auf den Abstreicher gelegt hat und drehe den messing-farbenen Türknauf nach links. Die Tür ist verriegelt. Ich krame den losen Schlüssel aus meiner Hosentasche, öffne die Türe und flute mit dem Licht ins Haus. Geoffrey, der mir von dem Parkett entgegen blickt, ist kurz geblendet. Im “kleinen Salon”, der Sitzecke links neben der Türe beim Katzenbaum, sitzt du und frühstückst, Bassett neben dir auf dem kleinen blauen plüschigen Sofa.
Später, im Verlauf des Tages, wird der Radius der Frage sich verändern, „Was bleibt von uns?“, einem, „Was wird aus uns?”, weichen. Das alte Jahr ist vorbei, Vergangenheit. Was davon an uns haften bleibt, wird sich zeigen.
Wir können uns im Nachhinein nicht gegenseitig beistehen, in den Momenten, wo jeder von uns allein und auf sich gestellt war. Das merke ich jetzt. Du kommst gerade von einer Wurzelbehandlung zurück. Panikzerrüttet mit einer betäubten Wange schließe ich dich in die Arme. Versuche, im Nachhinein bei dir zu sein und lande immer wieder nur bei mir. Und dann lasse ich das Beistehen im Vorher sein und bleibe einfach im Moment mit dir, höre dir zu, frage wie es dir geht und schweige in die Antwort hinein. Verbinde mich mit dir in der Wortlosigkeit, trete zurück, mache mich leer und dir Platz, berühre dich im Schweigen. Und schon in dem Moment, wo ich den Satz schreibe und vorgebe, bei dir zu sein, bin ich in der Erinnerung, in meinem Kopf und höre nicht, was du mir sagst. Gehe zu dir in die Küche und frage dich, was du gesagt hast. Du schälst dir gerade Karotten und sagst, du hättest es vergessen. -
Die Morgensonne zwängt sich über das Dach des Häuserblockes auf der anderen Straßenseite. Nur noch ein paar Minuten und die bleiche Wintersonne blinzelt mich an. Ich sitze draußen an der Straße vor dem Café Naked Lounge und trinke einen Espresso. Für die Arbeit habe ich ein paar belegte Sandwiches gekauft, für die Mittagspause, die wir zwischen ein paar Bissen und dem Abkassieren der Kundschaft und dem Beladen der Autos mit Futtersäcken hinterm Counter verbringen. “How are your Christmas Holidays?” fragte mich die Verkäuferin und ich antwortete ihr, die beginnen erst morgen. In den USA ist offiziell nur der 25. Dezember ein Feiertag. Ein Tag später ist wieder ein ganz normaler Arbeitstag. Ich bin so ganz und gar nicht in Weihnachtsstimmung. Eine alte Frau mit schwarzer, offener Steppjacke und grauem, kurzen Haar setzt sich zu mir, einen Pappbecher mit Kaffee in der Hand und stellt sich vor: “I’m not Napoleon or Ceasar today.” und fügt hinzu, sie sei Linda. Ich sage ihr meinen Namen und sie antwortet, sie sei nicht Ringo Star, der Schlagzeuger. Sie zählt die Namen der Beatles auf: “John Lennon, Paul McCartney and Ringo Star.” Sie trommelt mit ihrer rechten, schmalen, knochigen Hand auf den Metalltisch, an dem wir sitzen. Der Tisch scheppert bei jedem ihrer Schläge, die sie mit einem rhythmischen: “Dä-dä, dädä, dä.” begleitet.
“How old Am I? I’m 2000 years old. How old are you, twenty or fifty?” und sie fragt mich weiter: “Are you British?” “I’m forty one.” und in einem frotzelnd trotzigem Ton antwortet sie: “Ah, fourteen! I’m fourteen. I’m an Egyptian Spice Girl.”, sie steht auf, geht zwischen den am Straßenrand parkenden Autos hindurch und läuft entgegengesetzt der Fahrtrichtung die Straße hinunter. Damit amerikanische Autofahrer sich nicht beengt fühlen und Platzangst bekommen, sind viele Straßen in der Innenstadt Einbahnstraßen. Amis mögen es eher großzügig. Die Straßen sind davon in der Regel nicht ausgenommen. Aus der Ferne ruft sie mir noch zu, sie sei Abraham Lincoln, der erste Präsident und ich wäre George Washington. Sie ist eine der vielen Obdachlosen in Chico, eine der vielen Flaneure der Stadt, ohne bestimmten Zeitplan oder Ziel, der Eingebung des Momentes folgend oder vom Hunger und Durst und der Suche nach Begegnung getrieben. Die anderen, behausten Einwohner, sitzen meist in ihren rollenden Blechkisten. Wer etwas auf sich hält und seinen Stolz noch nicht verloren hat, fährt Auto. Spaziergänger sind selten anzutreffen. Vereinzelt sind Hunde mit ihren Besitzern auf den Bürgersteigen unterwegs, oder Rentner, die für ihre Gesundheit eine Runde spazieren gehen. Das übrige Gros der Bevölkerung fährt ab dem 16. Lebensjahr mit dem Auto durch die städtische Botanik. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und mache mich auf den Weg Richtung Feed Store. Vielleicht gelingt es mir, auf dem Radweg entlang der Bahngleise und vorbei an den Plantagen ein wenig die Traurigkeit abzuschütteln. Vielleicht klopft der Wind die Melancholie aus meinen Kleidern, als wäre sie alter Staub.
-
Immer mehr Häuser, an denen ich auf meinem Heimweg vorbei radel, werden wie Jahrmarktsbuden herausgeputzt. Die Giebel, Eingänge und Terrassen werden mit Lichterketten geschmückt. In den Vorgärten ploppen fantastische Gestalten auf, die im Dunklen leuchten. Schneewittchen, Mickey Maus, Meister Yoda und der Lebkuchenmann tummeln sich neben Santa Claus und der heiligen Familie und erzählen ihre Geschichten. Meist sind die Figuren aufblasbar und haben innen LED Leuchten oder sind aus Kunststoff und werden angestrahlt. Moderne Ikonen, Märchenfiguren, die die Bewohner der Häuser vor der Dunkelheit, der langen Weile und vielleicht vor Einbrechern bewahren und zurück versetzen, in die Welt der Märchen, in der jeder Kind sein darf.
Am Tag Thanksgiving beginnt in den USA die Weihnachtszeit und diese lebt davon, dass man sich trifft und gegenseitig Geschichten erzählt, Geschichten und Märchen. Ich erinnere mich noch an eine Kollegin, aus der Zeit in Berlin, als ich in der Ausbildung zum Erzieher steckte, die an den Weihnachtsfeiertagen sich den Wecker ihres Smartphones gestellt hat, um keines von ihren Lieblingsmärchen zu verpassen.Für sie war Weihnachten nicht das Fest mit all seinem Glanz oder die Bescherung, sondern drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Weihnachten war ein Märchen, wo es egal ist, an was man glaubt, woher man kommt, wem man sich zugehörig fühlt oder wieviel Geld man hat, weil im Land der Sehnsüchte keiner fremd ist. Wo es einen Prinzen gibt, nicht irgendeinen, sondern einen, der zu einem passt, besser als jeder Algorithmus es zu bestimmen wüsste. Man braucht nur zu ihm reiten. So einfach ist das. Und den Weihnachstmann schert es nicht weiter, dass Ebru nur den Prinzen im Kopf hat und nicht ihn. Er hat seine Lieferroute und einen Zeitplan. Da sind Amazon und DHL ein verbummelter Haufen dagegen. Und das Jesuskindlein ist ja eh so mit sich selbst beschäftig, mit dem Kind-sein, Strahlen, Schreien, Schlafen und Wachsen. Selbst das Angebetet und Bewundert-werden ist ihm, glaube ich, völlig Sternschnuppe.
-
Mehrmals schon habe ich ihn übersehen, am helllichten Tag. Dabei steht er dort, wo ich ihn vermutet, gesucht, gesehen und nicht gefunden habe, der weihnachtliche Gral. Weil er so riesig ist und immer da steht, das ganze Jahr über, stumm, in sich ruhend, Schatten werfend im Atem einer anderen Zeit. Und aufgefallen ist er mir nur zufällig. Clare hat mich zu ihm geführt, unbeabsichtigt.
Clare spricht mich an, als ich die Straße überquere. Sie ruft mich mit heiserer, derber Stimme. Sie steht ein wenig abseits vor der Chevron Tankstelle mit ihrem Rollstuhl, will, dass ich sie woanders hinschiebe, an einen Ort, an dem sie ihre Klamotten wechseln kann. Doch zuerst will sie eine Pepsi on Ice. Ich betrete den Laden der Tankstelle, nehme einen der Becher, die umgedreht übereinander gestapelt sind, drücke ihn gegen den metallenen Hebel, lasse ein Drittel Eiswürfel hinein klacken und fülle ihn mit Cola auf. Ich bezahle und gehe wieder zu ihr nach draußen, drücke ihr den Becher in die Hand und frage sie, wohin sie geschoben werden möchte. Sie nippt kurz an ihrer Cola und zeigt in eine Richtung. Der Rollstuhl ist schwerfällig und das Schieben anstrengender als gedacht. Wir sind ein holperiges Gespann. Überqueren wir eine Straße, bin ich besonders vorsichtig, den Rollstuhl langsam die abgesenkten Bordsteine hinunter und wieder hinaufzuschieben. Die Eiswürfel in der Cola klirren aneinander. Ich frage mich, was nützen einer Stadt abgesenkte Bordsteinkanten, wenn sich keiner findet, der sich um die Menschen kümmert, die in den Rollstühlen sitzen? Man lässt die Menschen wie lebendige Gewächse in den Straßen verkümmern. Über eine halbe Stunde schiebe ich Claire durch die Straßen des nächtlichen Chico, ratlos und müde, ohne irgendeinem Ziel näher zu kommen, links, rechts, geradeaus, Straßenseite wechseln. Ich frage Clare, ob ich ihr einen Krankenwagen rufen oder sie in einen Shelter bringen könne. Ihre Klamotten riechen nach kaltem Schweiß, Rauch und Urin. Weder noch, beides will sie nicht, keinen Krankenwagen und keinen Shelter. Sie will nur geschoben werden, in ein Hotel, weiß aber nicht welches, sehnt sich in eine andere Vergangenheit, um in einer anderen Zukunft aufzuwachen, will zu mir nach Hause, sie sei special und lacht. Und dann sehen wir ihn auf einmal. Feierlich und gralsartig ragt ein mit 2000 LED Lichtern geschmückter Redwood über 27m in die Höhe und waltet seines Amtes als “Communal Christmas Tree”. Ich sage Clare, sie müsse mir jetzt sagen, wohin sie wolle, was ich für sie noch tun könne. Sonst setze ich sie hier am Stadtplatz ab. Ich kann nicht mehr. Hier gibt es wenigstens Toiletten. Sie willigt ein, dazubleiben. Ich verabschiede mich und gehe mit meinem Squash im Rucksack, den ich mir für´s Abendessen in der CO-OP gekauft habe, nach Hause.
Ich fühle mich nicht schlapp, oder einfach nur müde, sondern ausgesaugt, von den Erinnerungen an Momente des Helfenwollens, die diese Begegnung in mir wach gerufen hat. Und sie können so heimtückisch sein, die Erinnerungen und selten werden sie dem Moment gerecht, den sie überlebt haben. Und ich seufze und sage mir: Oh, Mann! Enterprise, Schutzschilde aktivieren, Energievampire im Anflug! -
Habe ich die Katzenklos fertig, kann ich schreiben. Es ist kurz nach fünf und finster. Ich laufe durch die Räume und schalte die Lampen ein. Verscheuche die Dunkelheit, die sich ins Haus geschlichen hat. Nur noch schnell das Streu ausschaufeln, auswischen, neues rein. Und beim Aus- und Abwischen gründlich sein. Wenn Geoffrey am Klo schnuppert, darf seine Nase nichts mehr zu beanstanden haben. Zwei der wasserdichten Laken sind in der Wäsche, eins hängt vor der Heizung zum Trocknen. Keine Reserve mehr. Bis ich das über´s Sofa gezogen habe, muss du still halten, Geoffrey. Ich mache die beiden Klos sauber. Dauert nicht lange. Und dann schreibe ich, sage ich zu mir. Über den alten Camper, der heute am Straßenrand stand.
Ich nehme mir Mülltüten und schaufele das Katzenstreu hinein. Überlege, wann es angefangen hat. Seit wann Geoffrey in seiner Not das Katzenklo meidet, ihm andere Orte, wie das Sofa oder das Bett vorzieht. Obwohl ich mehrmals am Tag die Klumpen aus dem Streu fische, dass ich erst vor drei Tagen erneuert habe. Vorgestern war das. Vorgestern ging das los. Die zweite Nacht, in der ich allein im Haus bin. Es riecht seltsam muffig, modrig. Ein Geruch zwischen Fäulnis und verbranntem Gummi, der mich nicht mehr schlafen lässt. Und als ich ich die Augen aufmache, bestätigt sich meine Ahnung. Ich mache das Häuflein weg , das direkt vor meinem Gesicht lag. Geoffrey, was willst du mir damit sagen? Geoffrey schmiegt sich an mich. Er begrüßt mich zärtlich schnurrend, so als hätte das, was mich aus dem Schlaf gerissen hat, nichts mit ihm zu tun. Ich streichle ihn. Wir pflegen eine liebevolle Kommunikation, jenseits aller Vorwürfe und Schuldgefühle, auch wenn er mich manchmal an den Rand der Verzweiflung treibt. Unterhalb des fröhlich aufgestellten, sich leicht schlängelnden Katzenschwanzes, sehe ich etwas im weißen, flauschigen Fell kleben, was mir alle verbliebenen Zweifel nimmt. Die nächsten zehn Minuten jage ich Geoffrey hinterher, ein angefeuchtetes Stück Küchenrolle in der Hand. Ich schaue das erste Mal auf die Uhr. Es ist kurz vor halb fünf in der Früh. Seit Frances verreist ist und ich mir von der Arbeit im Feed Store frei genommen habe, scheinen meine Tage langsam ihre Struktur zu verlieren, sind die Uhrzeiten nicht mehr so wichtig. Es gibt hier niemanden den ich kenne oder treffen muss. Ich verbringe meine Zeit mit den beiden Katern Geoffrey und Bassett. Beide leben in ihrer eigenen Zeit und ich mit ihnen.
Das Katzenklo ist sauber. Über den Camper, den ich heute auf meinem Spaziergang vor einem Haus gesehen habe, schreibe ich nicht mehr. Interessiert eh keinen. Ein Mann, wahrscheinlich der Nachbar, fragte mich, an den Zaun tretend, ob ich ihn kaufen wolle. Er könne die Telefonnummer der Betreuerin herausfinden. Der Mann, dem der Camper gehöre, hätte seine Wohnung verloren und würde jetzt im Shelter schlafen. Ich frage mich, wieso er den Camper nicht mitgenommen hat als er seine Wohnung verlassen musste? Was dem Deutschen sein bester Freund ist, ist dem Amerikaner sein zu Hause. Ich schaue mir den Camper noch einmal an und denke mir, das ist echt ne Rostlaube. Der Nachbar scheint meine Gedanken zu erraten und sagt, ja, der zerfällt schon in seine Einzelteile. Und ich höre die Enttäuschung in seiner Stimme und ich entsinne mich, so etwas wie ein Hoffnungsschimmer wahrgenommen zu haben, als er mich angesprochen hat. Die Hoffnung darauf, die Schwere der blechernen Erinnerung an diesen Schicksalsschlag, den Verlust der Wohnung, vielleicht noch in Geld umwandeln zu können, das die Not des ehemaligen Nachbarn, der jetzt obdachlos ist, ein wenig lindert. Die Hoffnung darauf, doch noch etwas tun zu können und den Wagen nicht einfach nur vom Straßenrand abschleppen zu lassen und mit ihm die Erinnerung zu entsorgen. Er verabschiedet sich freundlich von mir, wendet der Straße den Rücken zu und geht zurück in Richtung Garten.
-
Ich habe es versprochen. Ich kümmere mich um Bassett. Will Frances ein wenig von der Verantwortung abnehmen, die sie für Bassett trägt. Will, dass sie nach Neuseeland auf die Konferenz fliegen kann. Mal raus kommt, sich austauscht, neue Eindrücke sammelt, sich mit anderen Forschern vernetzen kann. Dafür habe ich mir eine Woche von meiner Arbeit im Feed Store frei genommen, um genug Zeit für ihn zu haben. Doch wer ist Bassett? Bassett ist unser in die Jahre gekommener British Shorthair Kater. Er leidet an einer Nierenkrankheit. Katzen mit einer Nierenkrankheit haben häufig einen geringeren Appetit, essen weniger Nassfutter, über das sie die Flüssigkeit aufnehmen und dehydrieren schneller. Aus diesem Grund bekommt er ein Medikament, dass den Appetit anregt. Und eines, das dafür sorgt, dass alles drinnen bleibt. Ein Antibiotikum, weil sein Immunsystem angekratzt ist und ein Antihistamin. Da Katzen ausgesprochen empfindsame Feinschmecker sind, ist es schwierig, sie davon zu überzeugen, dass die Einnahme von Medikamenten wichtig für ihre Gesundheit, oder sogar lebensverlängernd sein kann. Besonders, wenn sie giftig bitter schmecken. Aus diesem Grund muss zu einer List gegriffen, die Bitternis in etwas Leckerem versteckt, in diesem Fall ummantelt werden. Der Geruchsinn der Katze muss an der Nase herum geführt werden. Dafür zerkleinere ich die Tabletten, zerschneide sie mit einer Medikamentenschere oder zerreibe sie im Mörser. Die Krümel oder das Pulver fülle ich in einen Treat, den ich in zwei Hälften zerteilt und mit einer Nadel ausgehöhlt habe. Dann tauche ich eine Fingerkuppe in ein Glas Wasser, streiche den Wassertopfen über die Schnittkante und pappe den Treat wieder zusammen. Und fertig ist der Treat, gefüllt mit Mirtazapine, Cerenia, oder einem Antihistamin. Manchmal, wenn die Geduld knapp ist, lenke ich die Gedanken ab und höre ein Hörbuch. So geben sich beide Beschäftigungen, das Herstellen der Medizinpralinen und das Hören von Hörbüchern gegenseitig ein Alibi. Eins ermöglicht und rechtfertigt das andere. Und Bassett schnappt sich einen Treat mit dem Maul, wirft ihn in die Luft, indem er seinen Kopf nach oben reißt, fängt ihn wieder auf und verschluckt im glücklichsten Fall den Treat, ohne das Medikament zu schmecken und ihn wieder auszuspucken. Und für jeden Treat, den er isst, bin ich ihm dankbar und ein Stück erleichtert.